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  • AutorenbildManuel Schmerer

Das Leben nach der Reha - Teil 2: ">Nein Danke< zur Einladung"

Aktualisiert: 1. Dez. 2022


Im 1. Teil des Beitrags ging es um einige grundsätzliche Überlegungen, warum das Einführen von Veränderungen nach Reha schwieriger als auf den ersten Blick vermutet werden kann. Der Alltag, in den Menschen zurückkehren, und die Kontexte, in denen sie sich bewegen, sind oft voll mit Einladungen in alten Mustern zu Reagieren. In diesem Teil soll es darum gehen, diese Einladungen konsequenter abzulehnen, um die angestrebte Veränderung umzusetzen. Das Motto des Beitrags ist also: "Nein Danke zur Einladung".


Das neue Muster besser abrufbar machen - Anker

Bevor wir uns um das "Nein Danke zur Einladung" kümmern, sollte ein paar Gedanken daran gerichtet werden, wie das neue Muster besser abrufbar wird. Die angestrebte Veränderung muss ja irgendwie wirkungsvoll aktiviert werden. Hier haben sich meiner Ansicht nach aus der hypnosystemischen Sicht einige Strategien sehr bewährt, um die neuen Veränderungen alltagstauglich zu machen - man könnte das auch "ankern" nennen (=einen Anker finden). Diese Anker-Strategien unterteile ich gerne in 3 Kategorien:


1. Körper und Atmung

Hierbei arbeite ich mit den Leuten heraus, woran sie körperlich das neue Muster spüren würden. D.h. wie würde es sich körperlich anfühlen, wenn die angestrebte Veränderung passiert wäre? Woran würde man es merken? Meist gibt es vergangene Erfahrungen, in denen die Person den "Zielzustand" schon einmal gelebt hat und sei es nur zu einem kleinen Teil - oder die Person kann es sich vorstellen, wie es vermutlich wäre. Dieses Erleben des gewünschten Zustands schaut man sich dann am besten im Detail einmal an auf verschiedenen Ebenen.


Angenommen ein selbstbewussteres Auftreten ist das Ziel -woran würde man das körperlich merken? Wenn Sie sich einmal an eine Situation zurückerinnern, in der Sie selbstbewusst waren - sicher hat es das mal gegeben (Beispiel-Antworten in Klammern):

Wie war da Ihre Körperhaltung (aufrecht, gerade)?

Wie waren Ihre Schultern (locker und unten)?

Was haben Ihre Hände gemacht (waren ruhig)?

Wie war die Atmung (ruhig, tief)?

Wie war der Stand (stabil)?

Wie waren die Kopfbewegungen (ruhig, gelassen)?

Wie war der Blick (gelassen)?

Wie waren die Bewegungsmuster (flüssig, überzeugend)?


Es geht praktisch darum, sich hineinzuversetzen in das erfolgreiche Umsetzen der angestrebten Veränderung und das passende Körpergefühl dazu. Man könnte jetzt noch überprüfen, gibt es von den oben gegebenen Antworten einige, die besonders wichtig erscheinen? Möglicherweise die Körperhaltung, die Atmung und der Stand. D.h. man könnte versuchen die oben genannten, vielfältigen Antworten zu reduzieren auf einige wenige, die man sich besser merken kann. Diese 2 oder 3 wichtigen Aspekte werden dann (wie gleich beschrieben) zum Transfer in das neue Muster genutzt.

Ich empfehle oft, gerade auf diese körperlichen Signale (manchmal auch somatische Marker genannt) zu achten und diese zu nutzen. Innere Erlebniszustände und Gefühle haben Auswirkung auf körperlicher Ebene, zum Beispiel auf Körperhaltung - meist merken wir es nicht. Wenn ich eine schlechte Stimmung habe, werde ich voraussichtlich eine andere Körperhaltung haben, als wenn ich gut drauf bin. Aber nicht nur das Gefühl wirkt sich auf Körperhaltung aus, sondern die veränderte Körperhaltung hat dann wieder Auswirkungen auf das Gefühl. Wenn ich nun also schlecht drauf bin und dadurch in leicht gebückter und schlechter Haltung bin, wird diese Haltung wiederum verstärkende Wirkung auf mein schlechtes Gefühl haben - Wechselwirkung also. Körperhaltung hat einen starken Einfluss auf unser Erleben, auch wenn uns das meist nicht bewusst ist. Das heißt nicht, dass Körperhaltung die Ursache von Erleben sei - wenn wir in Wechselwirkung denken, wie eben beschrieben, dann ist die Frage nach Ursache nicht hilfreich. Man sagt daher, dass Körperhaltung ein starker Attraktor ist - also ein Element in einem Muster, was mit hoher Kraft andere Elemente beeinflussen kann. Details darüber, was genau damit gemeint ist, sprengen den Rahmen dieses Beitrags - daher nur kurz gesagt: Körperhaltung hat große Wirkung. Und genau das ist der Grund, warum ich das Beachten und Nutzen dieser somatischen Marker so wichtig finde. UND weil man Körperhaltung, Atmung, etc. potentiell immer verändern kann.


2. Bilder/Metaphern/Symbole/...

Meine 2. Kategorie an möglichen Anker-Strategien sind Bildern, Metaphern, Symbole, usw. Bleiben wir bei dem Beispiel des selbstbewussten Auftretens. Angenommen Sie würden sich nochmal an die selbstbewusste Situation zurückerinnern, an die Sie möglicherweise eben schon gedacht haben. Versetzen Sie sich gerne nochmal in die Körperhaltung, in der Sie damals waren. Und ich würde Sie jetzt fragen: Angenommen Sie würden sich ein Tattoo auf den Unterarm stechen lassen, sodass wenn Sie auf das Tattoo gucken, Sie sich sofort an genau diese Situation und diese Haltung zurückerinnern würden - welches Bild würden Sie tätowieren? Oder welches Symbol? Natürlich gibt es hier kein richtig und falsch - das sind persönliche Assoziationen, um die es hier geht. Alles ist passend, solange es Sie wirkungsvoll erinnert an die selbstbewusste Situation. Für manche Menschen sind das Naturbilder: ein Fels in der Brandung oder ein stabiler Baum. Gerne frage ich aber auch danach, welches Tier für die Leute am ehesten diese (Ziel-)Haltung repräsentiert (beispielsweise das selbstbewusste Auftreten) - Antworten wie Löwe oder Bär kommen da recht häufig, wobei jedes Tier passend sein kann. Teilweise nennt man dies auch Krafttier.

Wozu dienen diese Bilder? Es geht darum, ein komplexes Erleben wie "selbstsicheres Auftreten" in ein handliches Bild zu übertragen. Wenn ich in einer Situation stehe, in der ich selbstsicher auftreten möchte, versuche mich aber dann erst daran zu erinnern "okay, wie war das nochmal, wann war ich nochmal selbstsicher und wie ist das da gewesen, ..." - bis ich die Selbstsicherheit in mir reaktiviert habe auf diese komplexe Weise, ist die Situation längst vergangen. Mich aber beispielsweise zu fragen "okay, wo ist gerade der Löwe in mir und woran merke ich es?" (angenommen der Löwe wäre mein Krafttier) - das ist deutlich griffiger. Aber daran denken: es geht nicht an sich um das Tier, sondern um die Wirkung im Erleben, die ich mit dem Tier verbinde. Das Tier ist praktisch Mittel zum Zweck - eine Reaktivierungs-Hilfe.


3. Gedanken

Als 3. schaue ich auch gerne mit den Leuten, mit denen ich arbeite, ob es hilfreiche Sätze gäbe, die ihnen helfen könnten, sich in den Ziel-Erlebnis-Zustand hinein zu versetzen. Bleiben wir beim selbstsicheren Auftreten: Welcher Satz wäre für Sie hilfreich, um sich selbstsicher zu fühlen? Welcher Satz würde für Sie zu Selbstsicherheit passen? Oder Sie können sich auch fragen: Denken Sie mal an eine Situation, in der Sie selbstunsicher waren - wo Ihnen Selbstsicherheit besonders gefehlt hat; angenommen Sie könnten sich selbst dort sehen in der Situation; und angenommen Sie könnten in die Situation hineintreten und könnten der selbstunsicheren Person dort (die Sie selbst sind) einen Satz ins Ohr flüstern, die dieser Person helfen würden - was würden Sie sagen? Mit solchen und ähnlichen Strategien kommt man möglicherweise auf hilfreiche Sätze.


Die Lösungssequenz - und das Integrieren von alten Mustern

Okay, bis hierhin haben wir nun den Ziel-Erlebnis-Zustand (bspw. selbstsicheres Auftreten) übertragen in einen oder zwei "handliche" Anker. Ich empfehle 2 bis 4 "Anker-Ideen" zu haben. In jedem Fall würde ich etwas aus der 1. Kategorie (Körperliches) und aus der 2. Kategorie (Bilder,...) empfehlen. Nehmen wir als Beispiel-Anker für das selbstsichere Auftreten doch eine aufrechte Körperhaltung mit tiefer Atmung und das Bild des Löwen. Dann geht es jetzt um die Frage: Wie integriere ich das in den Alltag?

Jetzt könnte man ja meinen: Ist doch ganz klar, wenn eine auslösende Situation auftaucht (die Selbstsicherheit verlangt), begibt man sich direkt in die aufrechte Haltung mit der tiefen Atmung und als Löwe. Die Abfolge wäre also:


Auslöser - neues Muster


Gerade das empfehle ich so nicht! Der Grund ist simpel: Wie in Teil 1 beschrieben, ist der Alltag voll mit Einladungen ins alte Muster. Man sollte davon ausgehen, dass diese "alten Muster" in Vergangenheit so oft abgerufen wurden (willentlich oder unwillentlich), dass sie praktisch sehr gut trainiert sind und schnell wieder (automatisch) abgerufen werden. Um in einer wirtschaftlichen Metapher zu reden: Die alten Muster sind aktuell noch Marktführer. Wenn jetzt jemand davon ausgeht, nur noch das neue Muster zu (er-)leben, dann wird er wahrscheinlich bald demotivierend feststellen, dass das so nicht geht und doch wieder das alte Muster "angesprungen" ist. Daher sollte das Aktivieren des alten Musters unbedingt in die Lösungssequenz mit eingebunden werden. Die "Formel" ist also:


Auslöser - Aktivwerden des alten Musters - Transfer ins neue Muster


ACHTUNG: In meinem Verständnis handelt es sich hier um KEINEN Rückfall in alte Muster, sondern um nachvollziehbare Erlebnis- und Reaktionsmuster - dahingehend, dass davon auszugehen ist, dass das alte Muster als Marktführer auch noch öfter aktiviert werden wird, ob man es will oder nicht. Mit anderen Worten: Nur weil man sich ein paar schöne Anker für ein neues Muster überlegt hat, ist das Alte ja nicht weg. Das ist weiter da. Und das wird wieder anspringen. Das ist dann aber kein Rückfall in meiner Sicht, sondern ein erwartbares Phänomen. Wenn jemand sich jedoch abverlangt, nur noch im neuen, gewünschten Muster zu reagieren - dann könnte er das Aktivieren des alten Musters möglicherweise als Rückfall bezeichnen und demotiviert sein. Daher finde es ich es so wichtig, diesen Schritt des alten Musters fest in die Lösungssequenz mit einzuplanen.

Das geht bei selbstsicherem Auftreten beispielsweise so: Ich begebe mich mit den Leuten zusammen auf die Suche nach frühen Anzeichen, woran sie bemerken, dass das alte Muster wieder anspringt. Wenn das alte Muster nun also in selbstunsicherem Verhalten besteht, schaue ich, was frühe Anzeichen wären, woran die Leute das merken. Oftmals sind das körperliche Signale - somatische Marker. Beispielsweise eine gebückte Haltung, in der sich die Person klein wie ein Kind fühlt. Dann sähe die Lösungssequenz so aus: Immer wenn die Person merkt, dass sie in einer Situation klein wird wie ein Kind, sollte das geradezu die Erinnerungshilfe sein, bei der sie denkt (und hineingeht in) den aufrechten Stand mit der tiefen Atmung - wie ein Löwe.

Das Auftreten des alten Musters wird als Erinnerungshilfe für das Auslösen des neuen Musters genutzt. Dann braucht man sich auch nicht mehr Gedanken machen, das alte Muster unbedingt vermeiden zu müssen (was auch schwierig wäre, da es Marktführer ist), sondern kann es mit in die Lösung integrieren. Diesen Transfer von Altem in Neues sollte man üben. Gunther Schmidt (Begründer der hypnosystemischen Therapie - also dieser Konzepte hier) nennt dies Problem-Lösungs-Gymnastik. Erst geht man in das Problem (klein wie ein Kind werden), was zur Erinnerungshilfe für die Lösung wird (aufrecht, tiefe Atmung, Löwe). Wiederholen Sie das 20 Mal - dann ergibt sich die Chance, dass irgendwann wie automatisch das Auslösen des alten Musters plötzlich eine Einladung ins neue Muster wird. Wichtig ist: Man sollte das Auftauchen des alten Musters frühzeitig bemerken, denn ist man erst mal "zu tief drinnen", ist es mit dem Transfer ins neue Muster irgendwann schwierig. Deswegen gilt die Suche nach frühzeitigen Anzeichen für das alte Muster.


Für manche Menschen war es auch hilfreich, diesen Transfer ins neue Muster zu unterstützen mit einem inneren, freundlichen "Nein Danke" zum alten Muster. Ich werde klein wie ein Kind - "Nein Danke, diese Einladung lehne ich ab" - das erinnert mich an: aufrechter Stand, tiefe Atmung, der Löwe in mir. Sie wissen ja: Einladungen kann man annehmen, ablehnen oder modifizieren. Ich finde, ein freundliches "Nein Danke" kann beim Ablehnen einer Einladung durchaus hilfreich sein.


Auch war es für viele Menschen hilfreich, sich im Vorfeld noch einmal bewusst zu machen, welche Auslöser sie am ehesten ins alte Muster einladen. Teilweise habe ich das im 1. Teil mit angesprochen. Diesen Schritt halte ich auch für sehr sinnvoll. Aufgrund welcher Auslöser würde man am ehesten wieder im alten Muster reagieren?


Die optimale Balance finden - oder: muss jede Einladung abgelehnt werden?

Mit dieser Lösungssequenz im Gepäck stellt sich nun noch eine Frage: Muss man das immer machen? Die Antwort: Nein - und das dürfte auch gar nicht möglich sein. D.h. nicht alle Einladungen wird man auf die oben beschriebene Weise ablehnen können (oder gar wollen). Das kann verschiedene Gründe haben. Möglicherweise hat man den Transfer ins neue Muster "verpennt" - also zu spät oder gar nicht reagiert. Oder es handelt sich um eine Situation, in der das Reagieren im neuen Muster geradezu zu mehr Problemen führen könnte, sodass das Reagieren im alten Muster das Bessere ist! Das hört sich wie ein Widerspruch für manche im ersten Moment an: das alte Muster sei doch das "Problem", was man immer vermeiden müsse. Daran glaube ich nicht. Ich werde mich in einem neuen Beitrag mit diesem Aspekt einmal befassen - meine Erfahrung ist nämlich, dass auch das alte Muster seinen "Wert" hat, sodass es in manchen Situationen total sinnvoll ist, weiter auf die alte Art und Weise zu reagieren. Aber dazu in einem neuen Beitrag mehr.

Gehen wir für den Moment davon aus: ein andauerndes Reagieren im neuen Muster wird nicht funktionieren. Viele Menschen kennen das ja auch - man kann nicht immer nur noch die gewünschte neue Veränderung umsetzen. Das klappt in den wenigsten Fällen. Daher schlage ich vor: Planen wir moderat! Wie oft von bspw. 10 Situationen müsste jemand im neuen Muster reagieren versus wie oft darf das alte Muster noch auftreten? Einige Leute landen bei 4 zu 6. Das würde bedeuten, Ziel ist es, von 10 Situationen 4 Mal auf die "neue" Art zu reagieren und sich 6 Mal zu erlauben, auch weiterhin auf "alte" Art zu reagieren. Diese Art der Zielsetzung halte ich für wesentlich realistischer und besser umsetzbar, als sich zu sagen, man müsse immer das neue Muster nun leben. 4 zu 6 wäre nun also die optimale Balance zwischen Altem und Neuem.

Auch um Balance wird es in einem weiteren Beitrag noch gehen.


In einem 3. Teil der Themen-Reihe wird es um den Umgang mit interaktionellen Auswirkungen gehen. Mit anderen Worten, verändert jemand seine Balance zwischen alten und neuen Mustern, hat dies meist auch wiederum Auswirkungen in Beziehungen - die Geburtsstunde der nächsten Einladungen in alte Muster.


Danke für's Lesen.


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