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  • AutorenbildManuel Schmerer

Das Leben nach der Reha - Teil 1: "Einladungen in alte Muster"

Aktualisiert: 16. Okt. 2022

Viele Menschen fragen sich bereits während eines stationären Aufenthalts: "Was passiert danach" - genauer gesagt, "wie nehme ich die Veränderungen, die ich mir in der Klinik/Reha vorgenommen habe, mit nach Hause und setze sie dort um?"

Auch aus meiner Erfahrung ist das ein ganz entscheidender Punkt, denn

(wie schon in dem Beitrag zum Nutzen eines Reha-Aufenthalts ausgeführt): Die Kontexte/Personen/ Situationen, die vor einem stationären Aufenthalt zu einem Problem beigetragen haben, sind oftmals nach dem stationären Aufenthalt weiterhin vorhanden. Und "nur" dadurch, dass der/die Betroffene in Reha war und sich Veränderungen überlegt hat, ändert sich im Kontext zu Hause (Heimat-kontext) erstmal noch nichts. Im Gegenteil, viele Menschen im gewohnten Umfeld mögen von der betroffenen Person eher erwarten "Sie/Er kommt wie neu zurück und ist wieder wie vorher". Und da sind sie: die >Einladungen< ins alte Muster. Wie damit umgehen? Darum soll es in diesem Beitrag gehen. So betrachtet geht es hier gar nicht nur darum "wie nehme ich Veränderungen aus Reha mit nach Hause - im größeren Sinne betrachtet, geht es hier darum, wie Veränderungen überhaupt in "eingefahrenen" Systemen umgesetzt werden können.


Welche Impulse der Veränderung nehmen Leute mit aus Reha nach Hause?

Typischerweise sind das Veränderungsimpulse, die in den Monaten und Jahren vor der Reha zu kurz gekommen sind. Beispielsweise mehr Zeit für sich nehmen oder gezielt mehr für sich zu machen. Das können Auszeiten und Ruhe oder das gezielte Nachgehen von Hobbies sein. Bei einigen Menschen geht es hierbei auch darum, wieder mehr Lebensfreude, Wohlbefinden, innere Ruhe zu verspüren. Ein weiterer großer Bereich ist das effizientere Setzen von Grenzen. Diese Abgrenzung kann beruflich oder privat sein, beispielsweise gegenüber ungewollte Anfragen aus dem Umfeld oder zu hohe Anforderungen, also aus Selbstschutze heraus. Für Manche geht es nach Reha auch darum, Prioritäten oder Werte im Leben zu verändern, schädliche Beziehungen zu beenden, mehr auf das eigene Bauchgefühl zu hören oder aufgeschobene Probleme endlich anzugehen. Die Liste an Veränderungen, die nach einer Reha angestrebt werden, sind so vielfältig wie die Themen, die Menschen in Therapie und Beratung bringen.

Bis hierhin hören sich diese Arten von Entwicklungen sehr stimmig an. Jemand kommt mit einem Problem in Reha, stößt Veränderungen an und bleibt auch nach Reha dran, diese Veränderungen fortzuführen. Aus meiner Erfahrung ist das tatsächlich eher der kleinere und "leichtere" Schritt. D.h. für viele Menschen ist es oft "relativ schnell" (diesen Begriff betrachte ich als seeeehr dehnbar) möglich, wieder mit den Kompetenzen in Kontakt zu kommen, die für Entwicklungen in die gewünschte Richtung hilfreich sind. Die meist sehr viel schwierigere Aufgabe ist das Einführen und Umsetzen dieser Veränderungen in den Heimatkontexten, in denen zuvor Problemmuster gelebt wurden.


Warum sollte man davon ausgehen, dass diese Impulse "negative" Auswirkungen haben können im Heimatkontext?

Die Frage ist schnell beantwortet: Menschen wohnen nicht in Isolation, sondern in Beziehung mit anderen Menschen. D.h. auch, dass das, was der Betroffene vor einer Reha als Problem erlebt, Auswirkungen in relevanten Beziehungen hat. Wenn jemand oft eine gedrückte und gereizte Stimmung hat, hat das Beziehungsauswirkungen. Wenn jemand Ängste hat und daher gewisse Dinge nur eingeschränkt tut, hat das Auswirkungen in Beziehungen. Wenn jemand oft ja sagt und sich damit überfordert, hat das beziehungsgestaltende Wirkung. Der Begriff "Auswirkungen in Beziehungen" ist in diesem Zusammenhang nicht negativ gemeint, sondern neutral. Alles, was ein Mensch tut, hat (natürlich mehr oder weniger) Auswirkungen in Beziehungen. Wie Paul Watzlawick schon sagte, "man kann nicht nicht kommunizieren". So gesehen ist ein "Problemverhalten" auch etwas, was (ggf. ungewollt) kommuniziert wird und somit Einfluss hat.

Das Ganze heißt aber auch, wenn eine Person ein Problem X schon sehr lange erlebt (wohlmöglich Jahre), dann ist davon auszugehen, dass interaktionelle Muster gelebt werden, die mit dem Problem X zusammen hängen. Sei es von der Person selbst, die das Problem erlebt, oder vom Umfeld der Person als Reaktion auf das Problem. Das können beabsichtigte und bewusste bis hin zu unbeabsichtigten und unbewussten Reaktionen sein. Nicht selten entstehen in der Interaktion mit wichtigen Beziehungspartnern so Muster, die das Problem (tragischerweise) noch stabilisieren. Ein simples Beispiel wäre: Angenommen Person A neigt dazu, sich selbst hohe Leistung in einer Beziehung mit Person B abzuverlangen, um sich wertvoll zu fühlen, gibt sich sehr hilfsbereit und übernimmt mit Gefallen mal die ein oder andere Verpflichtung mehr. Im Laufe der Zeit könnte es sich somit einspielen, dass Person A regelmäßig mehr macht als Person B, bis diese höhere Leistung als Selbstverständlich behandelt wird, sodass es irgendwann zur ganz natürlichen Routine wird, dass Person B etwas weniger macht und erwartet, dass Person A den Rest übernimmt. Ein Punkt, an dem Person A sich möglicherweise ausgenutzt fühlt und das System als ungerecht empfindet. Wenn diese Person jetzt allerdings versucht, Veränderungen einzuführen, könnte das auf erheblichen Gegenwind stoßen, weil die gewohnten und bisher vorherrschend gelebten Interaktionsmuster eben anders aussehen.

Um es kurz zu sagen: Beziehungspartner in wichtigen Beziehungen sind es schlichtweg anders gewohnt und alte Gewohnheiten sterben schwer aus, was nicht unbedingt etwas mit Böswilligkeit oder Sturheit des Umfeldes zu tun haben muss, sondern damit dass die Beziehung nach dem alten Muster möglicherweise jahrelang gelebt wurde und (vermutlich) nicht nur "schlecht" gewesen ist. Zu guter Letzt kommt, denke ich, noch hinzu, dass viele Menschen von nahestehenden Personen, wenn diese in Reha gehen, eher erwarten, die Person komme "wie der/die Alte zurück" - also die Erwartung, dass die Person sich in Reha erholt und dass dann das Leben wie vorher weitergeht. Das finde ich grundsätzlich eine sehr nachvollziehbare Erwartung, besonders von Menschen, die selbst noch nie in einer Reha-Maßnahme waren. All diese Faktoren zusammen kreieren starke Einladungen in alte Muster für die Person, die aus der Reha heimkehrt.


Wie sehen die "Einladungen in alte Muster" im Alltag aus?

Die Einladungen können innerlich und äußerlich sein - d.h. sie können von der Person, die nun Veränderungen versucht zu Hause einzuführen, ausgehen oder äußerlich zu dieser Person sein.

Fangen wir mit den äußeren Einladungen an: Wie eben angesprochen können das beispielsweise Erwartungen des Umfeldes sein, dass die Person jetzt "wie früher" sein/ihr Leben weiterlebt. "Du hast das doch immer so gemacht". Diese Erwartungen müssen nicht zwingend explizit ausgesprochen werden, sie können auch subtil und den betreffenden Personen nicht bewusst sein. Diese Einladungen können zum Beispiel Arbeitsteilungen zwischen Ehepartnern betreffen oder Arbeitsprozesse im Beruf. Von manchen Menschen habe ich schon gehört, dass sie nach einer Reha im Job den Satz zu hören bekamen "du warst ja jetzt X Wochen weg und ich hab deine Sachen mit übernommen"... - mit der Erwartung, dass die heimgekehrte Person dies jetzt wieder fortführt wie vor Reha. Ich empfehle Menschen in Reha, eher davon auszugehen, dass ihr Umfeld zu Hause eher vom alten Status Quo auch nach Reha ausgeht und eben nicht mit tiefgreifenden Veränderungen rechnet.

Auf diese Weise wurden Beziehungen (möglicherweise jahrelang) gestaltet. Mittlerweile glaube ich sogar, dass manche Beziehungen sogar nur "nach dem alten System" funktionieren. Nehmen wir ein Beispiel, das mir schon häufig begegnet ist: Eine Frau (es könnte genauso gut ein Mann sein - es handelt sich nur um ein Beispiel) neigt dazu, sich häufig anderen Menschen anzupassen, ja zu sagen, eigene Bedürfnisse hinten anzustellen, die eigene Meinung nicht so sehr in den Vordergrund zu bringen. Dann ist das nicht nur eine Art, mit den eigenen Bedürfnisse und Grenzen in der Begegnung mit anderen Menschen umzugehen, sondern es ist schlichtweg auch eine Art der Beziehungsgestaltung. Damit meine ich, sich zurückzunehmen und anderen "Vortritt" zu lassen ist eine Art, in Beziehung zu gehen (auf eine rücksichtsvolle, sich zurücknehmende Art). Wenn diese Frau sich also selbst wenig Raum nimmt, könnte es damit sein, dass eine Freundin, mit der sie häufig etwas unternimmt, sich mehr Raum nimmt - und das nicht in böser Absicht, sondern einfach weil sie sich denkt, die andere Person scheint das ja zu wollen (zumindest sagt sie nichts Gegenteiliges). Wenn jetzt diese sich zurücknehmende Frau beispielsweise in Reha sich vornimmt, sich zukünftig mehr Raum zu nehmen und nach Hause kommt, um dies umzusetzen, könnte dies sehr verstörend auf die Freundin wirken, die nicht gewohnt ist, dass die Frau "nein" sagt, ihre Meinungen und Wünsche äußert, Kompromisse einfordert usw. Ist diese Freundin dann bereit und in der Lage, sich auf diese Veränderung einzustellen? Das ist die große Frage. Ich habe schon viele Menschen getroffen, die mir von Beziehungen erzählen, die daraufhin kaputt gegangen sind. Eben Beziehungen (oder auch Ehen), die nur nach den alten Mustern funktioniert haben. Für die Person, die die Veränderung anstrebt, stellt sich in solchen Zwickmühlen unter Umständen dann die Frage: Ist es mir die Veränderung wert, die Beziehung zu riskieren? Selbstverständlich muss das Ganze nicht immer so drastisch verlaufen - ich will lediglich darauf hinaus, Veränderungen haben Auswirkungen (ob groß oder klein). Und wahrscheinlich ergeben sich in Interaktion mit Anderen Momente, die eher wieder in das alte und gewohnte Muster einladen.

Was können nun innere Einladungen sein? Das sind Werthaltungen, Gedanken, Einstellungen, typische Reaktionsmuster der Person selbst, die dazu führen können, dass sie sich selbst in alte Muster einlädt. Einfaches Beispiel: Nehmen wir an, ein Mann gönnt sich zu wenig Pausen, weil er auch nach Feierabend viele Aufgaben im und um das Haus herum findet, die noch erledigt werden müssen. Nehmen wir an, er nimmt sich in Reha vor, zukünftig die Dinge langsamer anzugehen, sich Arbeiten einzuteilen. Was könnte wohl passieren, wenn dieser Mann nach einem weiteren Tag der Arbeit zu Hause ankommt und eine unerledigte Aufgabe beispielsweise im Garten entdeckt? Möglicherweise wird jetzt eine Stimme in ihm wach, die sagt "das müsstest du noch erledigen". Geht er dieser Stimme nach? Das wäre ein simples Beispiel dafür, wie bekannte leistungsorientierte Einstellungen eine innere Einladung, in alten Mustern zu reagieren, darstellen können. Aber das gilt natürlich auch mit allen anderen "Themen".

Ich lege den Leuten, mit denen ich arbeite, oft sehr deutlich nahe, eher davon auszugehen, dass nicht nur das Umfeld in altbekannten Weisen reagiert, sondern sie selbst auch (zumindest im ersten Moment). D.h. ich gehe grundsätzlich eher davon, dass gerade am Anfang, wenn eine Veränderung neu "eingeübt" wird, dass alte Verhaltens- und Erlebensmuster erstmal weiterhin dominieren und das erst im 2. Schritt sozusagen man versuchen sollte, das neue Muster zu leben. Als Beispiel: Angenommen jemand hatte bisher oft ein schlechtes Gewissen, wenn er etwas für sich selbst machen will, weil er sich selbst als egoistisch bezeichnet. Wenn diese Person nun konkret mehr für sich macht (beispielsweise positiven Aktivitäten nachgeht), dann gehe ich eher davon aus, dass im 1. Moment sich wieder das altbekannte schlechte Gewissen mit den altbekannten Sätzen meldet. Und dass erst im 2. Moment neue Denkweisen sich bewusst hervorgerufen werden können. Diese Betrachtungsweise halte ich für entscheidend, um Veränderungen auch langfristig durchzusetzen - daher gehe ich im nächsten Teil dieses Beitrags, wenn es darum geht, Einladungen ins alte Muster abzulehnen, noch näher darauf ein.


Soweit meine Unterteilung in innere und äußere Einladungen. Selbstverständlich ist diese Unterteilung keineswegs getrennt voneinander zu betrachten. Im Gegenteil, sie bedingen sich gegenseitig. Grob gesagt, jede äußere Einladung bekommt nur Wirkung auf die Person, wenn es innerlich einen Anteil der Person gibt, die diese Einladung (unwillkürlich - also ohne willentliche Steuerung) aufgreift. Das Gleiche gilt auch für innere Einladungen: Auch wenn ich mich selbst "einlade", in alten Mustern zu reagieren, ist daraufhin die Frage, wie wird diese Einladung weiter verarbeitet und darauf reagiert.

Nehmen wir das Beispiel des Mannes von eben: Er nimmt sich vor, weniger zu machen und bekommt das vielleicht auch für sich hin - gönnt sich mehr Pausen, lässt unfertige Arbeiten auch eher mal liegen. Nun sagt seine Frau "die Wiese im Garten wächst aber schnell". Welche Wirkung bekommt diese Nachricht auf den Mann? Angenommen er hört aus dieser Nachricht den Appell "mähe die Wiese!" - dann bekommt dieser Appell nur einladende Wirkung auf ihn, wenn nun ein innerer Anteil anspringt (ein "innerer Antreiber"), der sozusagen sagt, "siehst du, du vernachlässigst deine Aufgaben, weil du zu viel an dich denkst, du musst die Wiese mähen". In diesem Fall könnte es passieren, dass der Mann (entgegen seinem Vorhaben, sich mehr Pausen zu gönnen) sich nun doch der Arbeit des Wiesemähens widmet. Wenn aber auf den gleichen gehörten Appell "Mähe die Wiese" ein anderer Anteil im Mann antworten würde - sagen wir mal, ein selbstfürsorglicher Teil, der sagt "ja, die Frau hat Recht, die Wiese ist hoch - aber denk dran, du wolltest dir mehr Pausen gönnen, um deine Kräfte besser einzuteilen"... dann könnte es sein, dass der gleiche Appell von eben abgelehnt wird.

Daher komme ich dazu zu sagen, dass meine Unterteilung in äußere und innere Einladungen nicht getrennt voneinander zu betrachten sind - diese Prozesse gehen Hand in Hand. Eine äußere oder innere Einladung trifft auf eine innere Verarbeitung, woraus sich eine Wirkung ergibt. Und genau da liegt die Chance - häufig kann man die Einladungen selbst nur bedingt verändern (beispielsweise weil man die Erwartungshaltungen anderer Menschen nicht steuern kann), aber man kann schauen, wie eine Person eine Einladung innerlich verarbeiten müsste, damit die gewünschten Auswirkungen rauskommen. Die spannende Frage in Therapie wird also: "Wie müssten Sie reagieren auf diese äußeren/inneren Einladungen, damit Sie mit höchstmöglicher Wahrscheinlichkeit Ihre Veränderung umsetzen können?"


Mit dieser inneren Verarbeitung, also mit der Reaktion auf Einladungen, möchte ich mich im nächsten Beitrag ausführlich befassen.


To be Continued...

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