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AutorenbildManuel Schmerer

Das Leben nach der Reha - Teil 3: "Umgang mit interaktionellen Auswirkungen"


Bisher in dieser Reihe habe ich geschrieben darüber, wie der Alltag eine Einladung in alte Muster werden kann, sodass das Umsetzen neuer Ansätze schwierig sein kann, und was hilfreich sein kann, um diese Einladungen effektiver abzulehnen. Nun aber noch der letzte Teil: Selbst wenn man selbst bei seinem "neuen Muster" bleibt und danach agiert, besteht eine weitere Herausforderung möglicherweise darin, mit den interaktionellen Auswirkungen umzugehen, die daraus entstehen.


Alte Muster und ihr Einfluss

Die bisherigen Arten und Weisen, wie man in einer Situation gehandelt, gedacht, gefühlt, etc. hat (also das, was wir mit "altem Muster" bisher beschrieben haben), hat auch weiterhin einen Einfluss, selbst wenn man sich für eine Veränderung entschieden hat und diese nun lebt. Mit anderen Worten, alte Muster sind nicht einfach Teil der Vergangenheit, sie haben oftmals weiterhin Einfluss in der Gegenwart (zumindest anfänglich) - meist ob man will oder nicht. Die alten Muster waren in Vergangenheit nicht nur ein Teil des eigenen Erlebens, sondern haben damit natürlich auch Beziehungsauswirkungen bekommen. Wenn beispielsweise jemand bisher oft selbstunsicher in einer Situation auftrat, hat dies natürlich andere Auswirkungen in den Beziehungen in dieser Situation, als wenn die Person nun selbstsicher auftritt. Und wenn etwas Beziehungsauswirkungen hatte, kann man davon ausgehen, es hat Erwartungshaltungen des Umfeldes beeinflusst. Aus diesen alten Mustern sind gewohnte Interaktionsweisen entstanden. D.h. selbst wenn man sich selbst von den alten Mustern losgesagt hat, sind sie dadurch nicht verschwunden in den relevanten Beziehungen. Daher würde ich grundsätzlich immer davon ausgehen, dass die eigenen alten Muster Erwartungshaltungen und gewohnte Interaktionsweisen im Umfeld geschaffen haben, die (erstmal) auch weiterhin ihren Einfluss haben.


Dem Umfeld eine "Umgewöhnungsphase" gönnen

An dieser Stelle empfehle ich gerne, dem eigenen Umfeld eine "Umgewöhnungs-phase" zu gönnen. D.h. wenn jemand in Reha, in einer Klinik, in Therapie, in Beratung oder in sonstigen Prozessen sich befindet, die möglicherweise Veränderungen nach sich ziehen - dann würde ich immer davon ausgehen, dass wichtige Beziehungspartner im Heimatkontext der Person "vom alten Stand" ausgehen. D.h. dass das Umfeld der Person eher damit rechnen, dass diese Maßnahmen (Reha, Therapie, ...) dazu dienen, dass die betroffene Person wieder "der/die Alte wird" und dass alles wieder wie vorher ist. Diese Idee finde ich sehr nachvollziehbar - woher sollen Andere von außen wissen, welche Veränderungen die betroffene Person in Reha, in Therapie, ... durchläuft? Und selbst wenn Menschen von ihrem Umfeld zu Hause sowas hören wie "du wirst sicher einige Veränderungen für dich anstoßen", selbst dann würde ich eher davon ausgehen, dass das Umfeld nicht wissen kann, wie diese Veränderungen im Detail aussehen und welche Auswirkungen diese haben. "Die Anderen können nicht hellsehen", sag ich immer.

Daher empfehle ich eine Umgewöhnungsphase - eine Zeit also, in der man davon ausgeht, dass Andere sich erst einmal daran gewöhnen müssen, wie die eigene neue Art des Reagierens, Denkens, etc. aussieht. Und das kann verschiedene Reaktionen des Umfeldes hervorrufen: von Zuspruch bis Ablehnung, Unsicherheit, Erleichterung, Verwunderung, Neugier, ... Und wie schon erwähnt, gerade wenn "Gegenwind" aus dem Umfeld aufkommt bezogen auf die eigene Veränderung, kann das für viele Menschen eine sehr starke Einladung zurück in alte Muster sein. Das ist praktisch die Bewährungsprobe der Veränderung im Alltag. Was kann man tun, um diese Umgewöhnungsphase zu fördern?


Tipp 1: Reden

Meiner Meinung nach das wichtigste, was man vorbereitend tun kann: Das Umfeld "vorwarnen" - d.h. transparente Kommunikation darüber, welche Veränderungen man vor hat umzusetzen, welche Beziehungsauswirkungen das haben kann, und mit welcher Absicht man das Ganze tut. Gerade Letzteres finde ich entscheidend:

-WOFÜR dient das neue Muster/die Veränderung?

-Wie ist man auf die Idee gekommen, dass diese Veränderung sinnvoll wäre?

-Was soll durch die Veränderung besser werden, für welche eigenen Bedürfnisse macht man das?

-Auf welche Arten und Weisen könnte es einem selbst dadurch besser gehen und welche Auswirkungen hätte das auf den Alltag - sowohl den persönlichen Alltag, als auch ggf. den Alltag miteinander (bspw. innerhalb der Familie)?

-Welche Auswirkungen in Vergangenheit hatte es, dass dieses Bedürfnis nicht so sehr beachtet wurde oder in der Umsetzung Raum bekommen hat? Häufig sind wir bei dieser Frage genau bei den Auswirkungen, die die Person überhaupt bewogen hat, in Reha, Therapie, ... zu gehen.

-Wie könnten die Interaktionspartner, denen man gerade diese Veränderungen näher bringt, die Person selbst unterstützen? Könnte das Umfeld etwas tun, damit es der Person eher gelingt, die neuen Veränderungen umzusetzen? Auch wichtig: Gibt es etwas, was das Gegenüber nicht tun sollte?

-Tipp: Sprechen Sie hier bei allen Fragen möglichst aus der Ich-Form heraus!


Wie sicher deutlich wird aus diesen Fragen, das ist nichts, was man mit jeder Person im eigenen Umfeld besprechen sollte. Gerade im beruflichen Kontext sind viele Menschen eher vorsichtiger, was das Teilen persönlicher Informationen angeht, was ich sehr nachvollziehbar finde. Daher sollte sicher abgewogen werden, in welchem Ausmaß und auf welche Art etwas mit anderen Menschen besprochen wird - oder auch gerade nicht besprochen wird.

Empfehlen kann ich an dieser Stelle ein Projekt der Uni Köln zum Thema, wieviel man gerade im beruflichen Kontext über körperliche und psychische Themen preisgibt: www.sag-ichs.de (Anmerkung: ich selbst würde die Bezeichnung "psychisch krank" so niemals sagen und stimme mit ihrem Gebrauch nicht überein - dazu in einem weiteren Beitrag mehr).


Tipp 2: Gute Absichten oder zumindest Unachtsamkeit unterstellen

Vielleicht kennen Sie es oder können es sich vorstellen: Jetzt hat man schon mit einem wichtigen Beziehungspartner gesprochen, warum man eine Veränderung anstrebt und er/sie hat zugestimmt, es gut zu finden - und nach einiger Zeit reagiert er/sie doch wieder irritiert, verwundert, oder sonst auf irgendeine Weise, sodass man selbst denkt "hat er/sie alles schon wieder vergessen?".

Hier empfehle ich Geduld und Nachsicht. D.h. wenn wir von einer Umgewöhnungsphase ausgehen, ist auch davon auszugehen, dass die Interaktionspartner im Umfeld irgendwann mal wieder "auf die alte Art und Weise und in alten Erwartungshaltungen" reagieren. Dabei gehe ich grundsätzlich davon aus, dass die Person das nicht in böser Absicht tat. Ich unterstelle also gute Absichten oder zumindest Unachtsamkeit - im Zweifel (erstmal) für den Angeklagten sozusagen.

Wenn also als Beispiel ein Ehepartner zugesagt hat, mehr im Haushalt zu helfen (das wäre also die angestrebte Veränderung) und am nächsten Tag mal wieder (wie in Vergangenheit) nicht mithilft - ich empfehle, nicht davon auszugehen, dass er/sie es direkt in böser Absicht tat. Erinnern Sie die Person freundlich an die Absprache. Denken Sie daran: im Alltag ist so viel los, man hat so viel um die Ohren - vielleicht hat dieser Interaktionspartner es tatsächlich ja vergessen, worauf er/sie mehr achten wollte und ist daher wie automatisch in alte Verhaltensweisen (in seine/ihre alten Muster) gerutscht. Leisten Sie freundliche Erinnerungshilfe.

Leichter gesagt als getan, nicht wahr?! Sehr schnell, glaube ich, geht man davon aus, das Gegenüber würde jetzt die Absprache direkt und immer einhalten - und bestenfalls passiert das ja auch so, das kann ja sein (ich will die Dinge ja nicht schwarzmalen). Aber ich finde es auch nachvollziehbar, wenn das Gegenüber mal "vergisst", was man doch besprochen hat und was nun anders laufen soll. Hier empfehle ich, wie gesagt, die freundliche Erinnerungshilfe.

An dieser Stelle finde ich eine Einschränkung nötig - siehe Tipp 4!


Tipp 3: Veränderung ist ein fortlaufender Prozess

Nützlich finde ich es an der Stelle auch, Veränderung und die Umsetzung von Veränderungen im Heimatkontext nicht als linearen Prozess zu betrachten, der geradlinig vorangeht, sondern eher als ein Prozess, der einige Schritte vorwärts und einige rückwärts macht. D.h. nachdem eine Person bspw. in Reha war, Veränderungen erarbeitet hat, diese dem Umfeld transparent kommuniziert und sich Unterstützung zugesichert hat... würde ich immer noch nicht davon ausgehen, dass damit "die Arbeit getan" ist. Neue Gewohnheiten, Interaktionsmuster, Erwartungen, und mehr müssen erst geschaffen werden - das braucht Zeit. Und in diesen Prozessen kann es immer wieder "Ehrenrunden durch's alte Muster" geben, wie Gunther Schmidt es so schön nennt. Diese Ehrenrunden (oder Einladungen ins alte Muster, wie wir sie bisher genannt haben) betreffen einen selbst UND auch das Umfeld, die dann wieder in alter Art und mit alten Erwartungshaltungen agieren. Prozesse der Veränderungen erfordern oftmals immer wieder Engagement, Energie, Zeit und mehr von der betreffenden Person, bis diese Prozesse "automatisierter" gelebt und vom Umfeld angenommen werden. Und wie schon zuvor erwähnt: Oftmals ist es nicht das Ziel, nur noch das neue Muster zu leben - meist geht es vielmehr um eine Balance zwischen alten und neuen Mustern (um diese Balance wird es in einem weiteren Beitrag genauer gehen).


Tipp 4: Man kann die Akzeptanz/Mitwirkung des Umfeldes nicht erzwingen

Auch wenn dieser Tipp wirklich doof klingt! Aber ich finde ihn wichtig. Es geht also darum, im Kopf zu behalten, dass es bei allen schönen Tipps und Ideen, was man sich so überlegen kann, keine Garantie gibt, dass im Umfeld das neue Muster akzeptiert wird. Man kann (manchmal auch leider) das Umfeld nicht zwingen, die eigene Veränderung zu akzeptieren, gut zu heißen, sie zu unterstützen - der eigene Wirkungs-Bereich ist begrenzt! Man kann das Umfeld lediglich einladen.

Aber wie zuvor schon diskutiert: Einladungen können akzeptiert, abgelehnt oder modifiziert werden - und das gilt nicht nur für einen selbst (das habe ich im 2. Teil diskutiert - "Einladungen ins alte Muster ablehnen"), sondern auch für das Umfeld. Interaktionspartner lehnen möglicherweise die eigenen Einladungen, die angestrebte Veränderung zu unterstützen, immer wieder ab und bleiben dabei, dass sozusagen der alte Status Quo wieder hergestellt werden soll.

In dem Beispiel oben mit den Ehepartnern und dem Haushalt würde das heißen: Der Ehepartner kann sich nicht darauf einlassen, mehr im Haushalt zu helfen, auch nachdem die andere Person (die Person, die die Veränderung einführen will) die Hintergründe der Veränderung ausführlich erläutert hat.

Dann wiederum ist für mich die Frage: Wie kann die Person möglichst gut damit umgehen, dass das Gegenüber auf dem Kurs "Nicht-Veränderung-wollen" bleibt? Diese Frage ist eine sehr wichtige und komplexe Frage. Da ich glaube, dass die Antwort darauf sehr individuell sein muss und sehr abhängig von der konkreten Situation ist, damit es funktioniert, würde das hier den Rahmen des Beitrags sprengen, diese Frage weiter zu durchdenken. Das mag dann ein Anliegen für Beratungs- und Therapiesitzungen sein.


Tipp 5: Welche Haltung bräuchte man selbst, um gut seine Veränderung zu leben?

Das ist eine häufig übersehene Idee, finde ich. Es geht nicht nur um die Frage, wie bekommt man Veränderungen nach Reha umgesetzt und wie kann man das Umfeld einladen, einen zu unterstützen - man kann sich darüber hinaus auch mit der Frage beschäftigen, was man selbst bräuchte, um die angestrebte Veränderung immer wieder gut leben zu können. D.h. wie kann man die eigene

Selbstsicherheit, Standfestigkeit, Zuversicht (und was auch immer noch hilfreich wäre) fördern, um mit höchstmöglicher Wahrscheinlichkeit es zu schaffen, die optimale Balance zwischen alten und neuen Mustern zu leben, insbesondere in den Situationen, in denen Interaktionspartner im Umfeld die eigene Veränderung nicht akzeptieren und es zu "Gegenwind" kommt. Ich finde ja, im Angesicht von Gegenwind ist der eigene Stand entscheidend. Sicher sprengt es diesen Beitrag, diese Frage nun ausführlicher zu beleuchten, da es grundsätzlich jetzt darum ginge, was einem Selbstvertrauen und Selbstsicherheit geben kann. Wie kann man handlungsfähig im Angesicht von Diskussionen und Konflikten bleiben? Wie kann man effektiv den eigenen Standpunkt kommunizieren? Wie kann man gut Kompromisse aushandeln? Welche Bedeutung müsste man der eigenen Veränderung innerlich geben, sodass man sie auch mit Überzeugung nach Außen kommunizieren könnte?

Auch hier denke ich, dass diese komplexen, individuellen Fragen ein Anliegen für Beratung und Therapie sein können - und ggf. auch (zumindest teilweise) etwas für zukünftige Beiträge hier in diesem Blog.


Dies erstmal ein paar Gedanken dazu, was hilfreich sein kann im Umgang mit den interaktionellen Auswirkungen von angestrebten Veränderungen, also von neuen Mustern. Damit schließe ich die 3-teilige Reihe "Nach der Reha" ab. Wie immer wieder zwischendrin erwähnt, sind mir viele Ideen für neue Beiträge in der Zukunft gekommen, die Aspekte aus diesen Diskussionen hier aufgreifen werden. Seien Sie also weiterhin gespannt :)


Und wie immer: Ich freue mich über Ihr Lesen!

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