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  • AutorenbildManuel Schmerer

"Zwang" - überzeugende innere Einladungen

Aktualisiert: 31. Okt. 2022


"Habe ich die Haustür abgeschlossen?"

"Ist der Herd aus?"

"Ist es hier verunreinigt? Sollte ich nochmal genauer putzen?"

"Habe ich auf der Autofahrt jemanden zu Schaden kommen lassen?"



Was wird typischerweise als "Zwang" bezeichnet?

Oben genannte Gedanken und noch viele weitere führen bei vielen Menschen zu Handlungen, die dazu dienen, die Befürchtung nicht geschehen zu lassen und nochmal zu kontrollieren, um sich sicher zu sein. Wenn diese Gedanken und Handlungen ein gewisses Ausmaß überschreiten, was als "normal" betrachtet wird, und wenn die Person darunter leidet (bspw. weil erhebliche Ressourcen wie Kraft oder Zeit aufgewendet werden), spricht man in der Psychologie irgendwann von einem "Zwang" - bzw. von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. Das heißt, es kommen Gedanken oder Befürchtungen auf, die zu Anspannung/Angst/etc. führen, die dann über das Nachkontrollieren oder Ausführen einer gewissen Handlung wiederum reduziert werden. Allerdings kann es sein, dass im Laufe der Zeit dieser Effekt der Handlung immer kürzer anhält, ehe der Kreislauf von vorne beginnt, sodass die Handlung immer häufiger ausgeführt wird, um das gleiche Maß an Entspannung, innerer Sicherheit, etc. wiederherzustellen. Dies kann dazu führen, dass diese Handlungen viele Male durchgeführt werden, worunter die Betroffenen sehr leiden können!


Zum Begriff "Zwang" - denn Worte haben Wirkung!

Wie Gunther Schmidt (Begründer der hypnosystemischen Therapie) schon so schön herleitete, auch wenn der Begriff Zwang der übliche Ausdruck ist für das, worüber ich hier schreibe... jeder, der "Zwang" sagt, macht sich schuldig an den Fähigkeiten der Menschen, um die es geht.

Also, was bedeutet das und was hat das mit "inneren Einladungen" zu tun? Das Wort "Zwang"... schauen Sie mal, welche Wirkung das auf Sie hat. "Ich habe einen Zwang" - wie fühlt sich das unwillkürlich an? Welche Empfindungen kommen auf? Welche Gedanken kommen auf? Wohin geht die Aufmerksamkeit? Typischerweise löst das Wort eher Beklemmung, Belastung, Scham aus. Darüber hinaus vielleicht Gedanken wie "ich sollte so nicht handeln, das ist falsch, warum kann ich es nicht anders machen" (Selbstkritik). Und der Blick geht in dem Moment auf die Situationen, in denen man dem "Zwangsverhalten" oder den "Zwangsgedanken" nachgegangen ist, obwohl man es nicht wollte. Für viele fühlt sich das Wort an wie "es hat gar keine andere Wahl gegeben, man MUSSTE das so machen" - also ein Tunnelblick, in denen alternative Handlungswege aus dem Sichtfeld geraten sind (und damit auch Handlungsfähigkeit und Wahlmöglichkeiten).


ABER schauen wir mal nach Situationen, in denen das problematische ("Zwangs-") Verhalten gar nicht auftrat oder etwas weniger. Diese Situationen findet man immer! Und sei es "nur", dass jemand feststellt, es gab gute und schlechte Tage (= es gab Variation). Auch das bedeutet ja, es gab Prozesse, die es besser gemacht haben und zu den guten Tagen geführt haben - auch wenn diese Prozesse (noch nicht) bewusst-willentlich gesteuert wurden. Es ist auch oft möglich, dass jemand feststellt, die Dauer oder Intensität, in der dem Verhalten nachgegangen wurde, war an manchen (guten) Tagen weniger - auch das bedeutet ja, es scheint Prozesse zu geben, die das ungewünschte "Zwangsverhalten" weniger werden lassen als an manch anderen Tagen.

Das Wort "Zwang" führt bei vielen Menschen den Blick aber weg von diesen hilfreichen Prozessen, fast so als habe es sie nie gegeben. Dieser Tunnelblick blendet also tragischerweise Hilfreiches aus. Und genau diese Prozesse müssen wieder zurück in das Sichtfeld, damit Handlungsfähigkeit und Wahlmöglichkeiten entstehen können. Leider scheint das Wort "Zwang" diesem Ziel nicht dienlich zu sein. Und nur deshalb empfehle ich, das Wort "Zwang" auszutauschen. Nicht, weil es falsch wäre. Man kann das, wovon wir da reden gerne Zwang nennen. Aber es engt bei vielen den Blick so ein, dass hilfreiche Prozesse nicht mehr gesehen werden. Und aus diesem Grund heraus empfehle ich die Umbenennung. Damit man sich sozusagen selbst dabei unterstützt, hilfreiche Prozesse wieder mehr ins Sichtfeld zu kriegen und dann später gezielt zu nutzen. Denn Worte haben schließlich Wirkung! Was wäre eine nützliche alternative Bezeichnung?


Auch hier bediene ich mich wieder der Herleitung von Gunther Schmidt: Wenn man feststellt, es gibt innerliche Prozesse (bisher "Zwang" genannt), die dazu führen, dass man ein gewisses Verhalten ("Zwangsverhalten") oder gewisse Gedanken ("Zwangsgedanken") in einigen Situationen mehr und in einigen Situationen weniger hat - dann könnte man sagen, dass diese innerlichen Prozesse eine Einladung darstellen, etwas zu tun. Eine möglicherweise sehr überzeugende Einladung. Eine überzeugende Einladung, die die Person oftmals nicht in der Lage war abzulehnen, sondern sie (ungewollt) angenommen hat. Ziel der Therapie ist es demnach, die Fähigkeit der Person zu stärken, mit der überzeugenden inneren Einladung so umzugehen, wie es gewollt ist. Und grundsätzlich lassen sich Einladungen annehmen, ablehnen oder modifizieren.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen: es geht nicht darum, das Wort "Zwang" aus ästhetischen oder sonstigen unbedeutenden Gründen auszutauschen - sondern das Verwenden der Bezeichnung "innere Einladung" ist eine erste Form der Intervention, weil es tendenziell das Gefühl der Leute stärkt a) es mag auch Situationen gegeben haben, in denen sie die Einladung abgelehnt

haben (oder zumindest weniger gemacht haben) und b) es legt ein konkretes Therapieziel (sozusagen eine therapeutische Ausrichtung) nahe, nämlich das häufigere Ablehnen oder Modifizieren der Einladungen.

Das Motto der Therapie wird also "öfter mal NEIN DANKE zur inneren Einladung".


Nebenbei erwähnt: Wenn sie meine therapeutische Haltung etwas besser kennen oder mit mir schonmal gearbeitet haben, dann wissen Sie vielleicht, dass für mich nach dem Aspekt "NEIN Danke zur inneren Einladung" sich die Frage anschließt "Stattdessen JA wozu?". Das heißt, anstatt nur zu schauen, wie kann ich etwas weniger machen (indem ich es mit einem "Nein Danke" ablehne), ist für mich die Frage, was mache ich dafür stattdessen mehr (wozu sage ich JA), fast noch entscheidender!


Erstmal bis hierhin zu diesem Thema.

Vielen Dank für's Lesen!



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